von Volkmar Lehnert


   Einleitung

   Kapitel 1: Nachhaltig geschädigt

 

    Kapitel 2: Dilemmas der Weltgeschichte

 

    Kapitel 3: Ungleichheiten, verdammte Ungleichheiten

    Kapitel 4: Gesunder Pessimismus

    Kapitel 5: Nachhaltigkeit als Utopie

    Kapitel 6: Nachhaltigkeit als Faschismus

 

 

Warum gab und gibt es Kriege? Warum gab und gibt es Hunger? Warum gab und gibt es Krankheit? Warum gab und gibt es Umweltverschmutzung? Weil Menschen von Geburt an entweder gut oder böse sind - und weil sie bei der Geburt entweder Glück oder Pech haben. Wer böse ist, führt Kriege; wer Pech hat, hungert oder wird krank; wer Glück hat, übersteht das irdische Dasein ohne Erfahrung von Krieg, Hunger und Krankheit und wer gut ist, kommt in den Himmel. Das einzige, was alle Menschen gemeinsam haben und großzügig teilen, ist die Dummheit.

Vernunftbegabte wissen immerhin, dass sie nicht(s) wissen (3). Vernünftige sind diejenigen, die Zufriedenheit als befriedigend empfinden können - und damit dem Ideal der Nachhaltigkeit eine Chance auf Verwirklichung geben.

Gegen die demokratische Mehrheit - und es ist nicht die absolute, sondern die totale Mehrheit - der Fortschrittsbegeisterten und Fortschrittsgläubigen, die in einer schizophrenen Erfindungssucht aus Tüchtigkeit und Bequemlichkeit einer technologischen Zivilisierung entlang ständig neu auszuhebender Technik-Utopien (4) nachjagen, haben sie wirklich keine Chance.

Dieser ideologische Totalitarismus speist sich aus drei Fatalismen der Menschheitsgeschichte, welche sich der Gegenwartsmensch eingestehen müsste, um Nachhaltigkeit als postmoderne (bzw. postkapitalistische) Neudefinition seiner globalisierten Vergesellschaftung begründen zu können. Und um so die nötigen Innovationen ausbrüten zu können, die eine Realisierung der Vision einer nachhaltigen Zukunft wahrscheinlicher machen.

Das erste, weil anthropologisch evidenteste Problem unserer Spezies ist und bleibt das bedingungslose Bevölkerungswachstum. Seit dauergeile Männchen in heterosexuell genormten Formen des Zusammenlebens über ihr Reproduktionspotenzial in Gestalt ganzjährig empfängnisbereiter Weibchen verfügen, fand eine streckenweise inzestiöse Bevölkerungsexplosion statt, die im Zusammenhang mit der versorgungstechnisch revolutionären Industrialisierung der Landwirtschaft nochmals expotenziert worden ist. Nach Pille- und Wendeknick feiert auch die "hochentwickelte" Industrienation Deutschland wieder ihre Geburtenhauptstädte und läutet damit den Wandel im demographischen Wandel ein.

Ein sehr modernes, weil erst mit der Profitlogik des Kapitalbegriffes und seiner industriellmaschinellen Massenproduktionsweise miterzeugtes Problem ist die Kontingenz menschlicher Bedürfnisdispositionen. Auf einem Kontinuum vom elementarsten Grundbedürfnis bis hin zur stets zu überbietenden Wunscherfüllung sucht und schafft sich der Mensch eine gigantische Variation von Fetischen - Objekten des Begehrens zur Wahrung eines universellen Geltungsanspruches. Wer hungert will satt werden. Wer satt wird, will genießen. Wer genießt, will gesundheitlich unbedenklich genießen. Wer gesundheitlich unbedenklich genießt, will auch ökologisch verantwortlich genießen...

Und wer dann tatsächlich zum elitären Kreis der Genießer gehört, die in den Genuss fair gehandelter, biologisch erzeugter Edelbitterschokolade ohne Konservierungsmittel und Geschmacksverstärker kommen, der will auch immer mal was "Neues" ausprobieren. Was noch kein anderer hat und kennt. Und was sich möglichst auch kein anderer leisten kann.

Das aktuellste Problem jedoch ist die Kurzfristigkeit menschlicher Realitätsbezüge. Durch Automobilverkehr gesteigerte Mobilität, durch Elektrizität ermöglichte Entbindung von der tageszeitlichen Synchronisierung des Lebensrhythmus und durch mikroelektronische Kommunikationstechnologien gewährleistete Permanenz der Informiertheit und Erreichbarkeit versetzen den Menschen in einen beschleunigten Lebenszustand (5).

Auf diese radikalen Reizüberflutungen und Manipulationen reagieren die nervösen Organismen mit sogenannten Neurosen und anderweitigen psychologisch konstruierten und diagnostizierten Syndromen.
Arbeit existiert nur noch in zeitlich befristeter Projektform.
Stets überholte Produkte halten unter Garantie maximal bis zum Ende der 3-jährigen Gewährleistung.
Zukunftswettbewerbe fragen nach Visionen von einer Welt in 38 Jahren. Politische Willensbildung kommt durch die verfassungsmäßige Strukturierung der Bürgerbeteiligung immerhin den 4-Jahreplänen aus dem 1000-jährigen Reich nahe und orientiert sich durch den basisdemokratischen Wahlmodus stets am massenmedial vermittelten Meinungsmainstream. Immer topaktuell. Und immer auf Wachstum fokussiert.

Doch auch im Vorfeld der High-Tech-Gesellschaft reichte der Horizont menschlicher Vorstellungskraft und Planungskapazität selten über die individuelle Lebensspanne hinaus - nach mir die Sintflut. Für meine Kinder hab ich ein Boot angezahlt. Wie seinerzeit dieser clevere Noah (6).

 


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(3) Die philosophische Begründung von Ironie als Form (selbst-)kritischer Negation von absolutem Wissen und damit als Grundlage von Erkenntnis und Vernunft reicht von Platon, über Sokrates bis Kierkegaard.

(4) Im Rahmen des Sonderforschungsbereiches 804 an der TU Dresden wird derzeit "das Fortschrittsversprechen von Technik und die Altruismusbehauptung der Ingenieure in der technokratischen Hochmoderne (ca. 1880 - 1970)" untersucht; begleitet von der Ausstellung "Ein Funken Wahrheit: Energievisionen in der technokratischen Hochmoderne".

(5) siehe dazu Rosa, H. (2005): Beschleunigung. Die Veränderung der Zeitstrukturen in der Moderne. Suhrkamp. Frankfurt am Main. Habil. Universität Jena.

(6) siehe dazu Bibel, 1.Buch Mose, Kapitel 6 - Genesis